Vom Pandemie-Homeoffice zum ganzheitlichen Remote Work Konzept

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Homeoffice polarisiert, wie so viele Themen aktuell. Ein FAZ-Autor meinte neulich gar, man solle sich überlegen, Arbeitsplätze mit Aufgaben, die man gänzlich von zu Hause erledigen kann, outzusourcen. Das ist eine Ohrfeige für all diejenigen, die seit Jahren oder Jahrzehnten zu globalen Innovationen und Wertschöpfungen beigetragen haben - beispielsweise im Kulturbetrieb, in der IT, in internationalen Einheiten globaler Organisationen und Unternehmen, in der Beratung oder auch Forschung. Nicht zuletzt sind solche Kommentare Ausdruck der großen Ambivalenz, die Entscheider und machtorientierte Personen gegenüber einer Arbeitsweise haben, die vermeintlich geringere Kontrolle erlaubt.

Wir haben zu Beginn der Pandemie unsere langjährige Erfahrung aus über zwanzig Jahren Coaching, (Online-)Training und Beratung zu virtuellem Führen, verteilten Teams und Telearbeit für die ad hoc Homeoffice-Situation unserer Kunden nutzbar gemacht. Dabei haben wir in unserer Leading from Home Reihe einige grundlegende Anforderungen, Besonderheiten und Erfolgsrezepte für das zwangsweise Arbeiten und Führen von Zuhause in einer Pandemie zusammengetragen.

(c) Shutterstock

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Weshalb betone ich das so? - Weil es eben einen Unterschied macht, ob ich virtuell Führen als Standard in ein Führungskräfteentwicklungsprogramm einbaue, da vermehrt Führungskräfte in einem Unternehmen davon betroffen sind. Oder, ob ich Beratung und Training zur Einführung von Telearbeit einkaufe, da wir als Behörde wachsen und einen Teil der Belegschaft nicht in neue Gebäude umziehen möchten, sondern stattdessen lieber anbieten, von zu Hause zu arbeiten. Oder eben, ob ich Führen und Arbeiten von zu Hause zum Thema mache, weil wir ad hoc aus Angst vor einer Pandemie und zum Schutz aller Mitarbeiter alle aus dem Büro unvorbereitet und unfreiwillig umziehen, noch dazu mit allen Familienmitgliedern zu Hause. De facto wurde über genau diese multiple Krisensituation mit ihren bis dato nicht erlebten Einflussfaktoren viel zu wenig gesprochen. Sie ist Charakteristikum der aktuellen Remote Work Erfahrung. Zur historischen Entwicklung von Remote Work empfehle ich David Cooks Aufsatz "The global remote work experiment and the future of work." 

Die multiple Krisensituation gehört für uns dabei nach wie vor zu den wichtigen Themen, unter denen man das aktuelle Führen und Arbeiten von zu Hause verstehen und bewältigen muss. So gehörten zu unseren Themen in der Leading from Home Veranstaltungsreihe von April 2020 bis Februar 2021 z. B.:

  • Wie gelingt der Start ins Führen und Arbeiten von zu Hause?
  • Keine Quarantäne für Konflikte
  • Furchtlos mit den Krisen umgehen
  • Balancieren zwischen Fürsorge und Hochleistung

Der letzte Aspekt ist uns besonders wichtig, weil die Fürsorgeverantwortung der Führungskräfte besonders gefordert ist. Wir sehen und hören weniger leicht "zwischen den Zeilen" aus der Homeoffice-Situation. Um so wichtiger ist es, dass Führungskräfte sich selbst achtsam führen und extra Raum schaffen für regelmäßige 1:1 Gespräche, die sich im Büro leichter mal informell ergeben. Unsere aktuelle Situation ist nicht einfach eine digitale Beschleunigung für den digitalen Arbeitsplatz. Sie ist dies inmitten multipler Krisen und kreierte teilweise psychologisch-mental belastende Arbeitsumfelder. So erklärt sich vielleicht auch der etwas merkwürdig anmutende Titel einer Studie zu “Digitaler Resilienz von Stadt und Region Köln’’, die kürzlich vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT), dem TÜV Rheinland, der deutschen ICT + Medienakademie u.a. durchgeführt wurde. Die Befragung von rund 100 "Top-Entscheidern" ergibt einen eher positiven Blick auf die Homeoffice Situation der Befragten.

GIMI e.V.: Digitale Resilienz in Köln und Region: Zusammenfassung der Studienergebnisse: Köln, 2021

GIMI e.V.: Digitale Resilienz in Köln und Region: Zusammenfassung der Studienergebnisse: Köln, 2021

Aussagen wie

„Home Office (HO) funktioniert insgesamt gut bis auf die bekannten Belastungsfaktoren z.B. mit Familie/Beruf“ (zitierte Studie S. 9, Bild oben)

lassen mich aufhorchen. Damit kann sich keine Unternehmensführung und keine Führungskraft zufriedengeben.

Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch die Frage, wie der digitale Arbeitsplatz von morgen gestalten werden kann, damit

  1. ein geteiltes Verständnis wächst, was mit Digital Workplace gemeint ist und klar ist, was die Beurteilungskriterien dafür jeweils sind.
  2. Führungskräfte digitale Zusammenarbeit so gestalten können, dass die mittelmäßigen Ergebnisse (siehe Foto von S. 16) in der sozialen Dimension von Homeoffice „läuft ganz gut“ zu gesundem Arbeiten und Innovativität werden und Exzellenzleistungen bewerkstelligt werden können.

Für uns ist klar: Es gibt sehr viel Erfahrungen und Wissen darüber, wie verteiltes Arbeiten gelingen kann, sogar hohe Leistung möglich macht. Ein sehr geschätzter Kollege und "Veteran" verteilter Arbeit und Impulsgeber in unserem Leadership Dialogue Event im letzten Juli ist Luis Suarez. Mehr von ihm kann nicht nur auf seinem Blog gelesen werden, sondern auch angehört werden.

Zu den Herausforderungen der Pandemie gehört, bereits jetzt die Weichen für ein neues Verständnis von Arbeit zu stellen. Dieses braucht eine Langzeitperspektive für ein Kontinuum der „Employee Experience", die von primär ko-loziertem Arbeiten im Büro, über hybride Arbeitsmodelle (abwechselnd zu Hause und im Büro) bis zu primär verteiltem Arbeiten bzw. Arbeiten von überall (auch Homeoffice) reicht. Postpandemisch werden die Gründe für das Führen und Arbeiten von zu Hause stärker variieren als aktuell, doch die jetzt gemachten Erfahrungen prägen und wir sollten dabei achtsam, wertschätzend, neugierig, und innovativ bleiben.


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