Zoomen oder nicht zoomen, das ist nicht die richtige Frage!

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„Zoom ist keine Lösung.”

heißt der Titel eines kürzlich erschienenen Artikels in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Am 21. September erschien er nochmals als Blogbeitrag, der zurecht für seinen irreführenden Titel in den Kommentaren kritisiert wird. Aber der Titel hatte meine Aufmerksamkeit und Neugier geweckt. Meine Enttäuschung über seine Ungenauigkeiten hatten mich schliesslich zum Schreiben meines englischen Blogposts bewegt. Ab jetzt werde ich meinen Blog zweisprachig veröffentlichen, hiermit liegt der erste deutschsprachige Post vor!

Der FAZ-Beitrag zitiert eine neue Veröffentlichung von Coscia, Neffke & Hausmann in der August-Ausgabe von Nature Human Behavior. In dem Forschungspapier mit dem Titel „Knowledge transfer in the network of business travel“ werden internationale Geschäftsreisen, die über Kreditkartendaten gemessen wurden, mit Wirtschaftswachstumsfaktoren verknüpft [Daten von 2011 bis 2016].
Einer der Autoren, Ricardo Hausmann, Harvard-Professor und Direktor des Harvard Growth Lab, kommentiert seine Veröffentlichung im Lichte unserer aktuellen Pandemie. Seine Schlussfolgerung in Kürze: Wenn die Wissenschaft Beweise dafür liefert, dass ein wichtiger geschäfts- und innovationsrelevanter Wissenstransfer eine persönliche Interaktion erfordert, um für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen fruchtbar zu sein, können wir uns nicht ausschließlich auf das Arbeiten über eine räumliche Distanz verlassen. Gut. Doch was ist neu daran?

Photo by Chris Montgomery on Unsplash

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Bildung von Vertrauen und Know-how - offline und online

Expertise und Forschung zu virtuellen Teams und Führung auf Distanz haben inzwischen eine lange Tradition. Verteilte Teams mit einem modernen Arbeitsplatz erleben virtuelle Führung und digitale Zusammenarbeit seit mehr als 25 Jahren als "Normalität." Siehe den New Yorker Artikel zu „Why remote work is so hard and how it can be fixed,” Howard Rheingold und seine wegweisende Arbeit, oder auch meinen Aufsatz von 2009: Digital communication: Bridging distance in intercultural communication or virtual illusion?

Die digitale Infrastruktur war damals anders, ja. Jedoch haben die Menschen abgesehen vom Telefon, auch E-Mail, freigegebene Laufwerke, freigegebene Plattformen, Intranet-Plattformen und später soziale Tools wie Enterprise Social Networks verwendet (vgl. Luis Suarez-Blogbeitrag oder einen seiner Linkedin-Beiträge).

Seit 20 Jahren legen wir eine ähnliche Argumentation vor, um Führungskräfte fortzubilden, sie zu coachen und ihre Organisationen zu beraten, wie Beziehungen sowohl offline als auch online am besten gepflegt werden können. Die Notwendigkeit, einen „Herzschlag“ zu entwickeln, wurde bereits im Jahr 2000 von Wissenschaftlern wie Martha Maznevski vorgebracht (Maznevski & Chudoba, 2000).

Photo by Anete Lūsiņa on Unsplash

Wenn die Wirtschaft zusammenbricht, sind Reisekosten eines der ersten Budgets, die gekürzt werden. Die Reduzierung oder sogar vollständige Stornierung von Geschäftsreisen war für viele meiner Kunden ein sehr bekanntes Szenario und immer eine große Herausforderung für virtuelle Führungskräfte, verteilte Teams und die digitale Arbeitsplatzkultur.

Unternehmen messen Kosten auf besondere Weise. Ihre Reisekosteneinsparungen können sie einfach berechnen. Dennoch misst niemand die Verluste, die aufgrund von Einschränkungen der Geschäftsreisen verursacht werden: die resultierenden Leistungseinbußen, das unzureichende Know-how oder die mangelnde Erfahrung, auch nicht die kostspieligen Fehler oder vermeidbaren Unfälle, nicht die verpassten Gelegenheiten oder die nicht getätigten Innovationen.

Coscia, Neffke & Hausmann haben in der Tat ein wichtiges Argument für zahlenorientierte Führungskräfte vorgebracht, um zu beachten, was darüber hinaus auf dem Spiel steht, wenn das Reisen eingeschränkt wird. Es ist eine wertvolle, innovative Studie über die Auswirkungen von Geschäftsreisen auf den Wissenstransfer, die hoffentlich mehr Forschung anregen wird (es gäbe noch mehr über die verschiedenen Wissenstypologien zu sagen; doch dies erfordert einen weiteren Blogpost).

Die Pandemie ist jedoch noch nicht vorbei, die Unternehmen sind von den Folgen noch lange betroffen, unsere Umwelt braucht nachhaltigere Lösungen (der Fokus des WEF Davos-Gipfel 2021 wird auf „The Great Reset“ liegen). Die Praxis der Geschäftsreisen werden sich weit über Covid-19 hinaus erheblich verändern!

Das Gleichgewicht zwischen Fürsorge und hoher Leistung wird zu einer großen Herausforderungen für Führungskräfte, die sich der Frage stellen müssen, wie viel Reisen sie sich in Bezug auf Gesundheit, Umwelt und Business leisten können udn wollen.

Führen, Lernen und gemeinsames Schaffen von Wissen neu denken

Wenn unterschiedliche Kosten für Geschäftsreisen abgewogen werden, ist „zoomen oder nicht zoomen“ nicht die richtige Frage. Ich bin weit davon entfernt, von Geschäftsreisen, persönlichen Treffen und Teamevents abzuraten. Ein Großteil meines eigenen Geschäfts hängt davon ab. Wir dürfen den heutigen digitalen Arbeitsplatz jedoch nicht mit einer auf Videoanrufe reduzierten Anwendung gleichsetzen - sei es über Skype, Zoom, Google Meet, MS-Teams oder eine andere.

Wir müssen die Möglichkeiten der Erfahrungen mit Reisen mit dem gesamten Spektrum von Erfahrungen der digitalen Zusammenarbeit in Verbindung bringen. Siehe z. B. den Umgang von Syamant Sandhir mit den umfassenden digitalen Lernerfahrungen von Schülern. Professor David White, Head of Digital Learning at the University of the Arts London weist den Horizont mit seiner "Provokation" das Analoge in das Digitale zu integrieren und nicht umgekehrt (sic! - ein weiteres Thema für einen nächsten Blogpost).

For example: Access Visio directly from a tab within Teams channels

By Jared Spataro, Corporate Vice President for Microsoft 365

Daher ist die Dichotomie zwischen Geschäftsreisen und Zoom wie ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Die gesamte Debatte über Büro oder Nicht-Büro (d.h. Homeoffice oder jegliche Art von mobiler Arbeit) gibt eine falsche Dichotomie vor. Die Digitalisierung ist in vollem Gange. Sie betrifft jede Arbeit, jeden Arbeitsplatz und alle Arbeitsgeräte. Vorausschauende Digitalisierung ist verantwortliche Digitalisierung.

In Zeiten wie diesen brauchen wir Vorstellungskraft, um die Zusammenarbeit über Entfernungen hinweg neu zu definieren. Zoom ist hierfür die niedrigste Einstiegsstufe. Im Vergleich zu dem, was Microsoft beispielsweise durch die erste Nachahmung von Diensten wie Slack (das ich lieb(t)e !!!) erreicht hat und jetzt mit MS Teams anbietet, stehen wir einer neuen Realität der Zusammenarbeit in einer digitalen Arbeitsumgebung gegenüber. Diese weist auch großes Potenzial auf, selbst die Erfahrungen der digitalen Zusammenarbeit von lokalen Teams wesentlich zu verbessern.

Wir sprechen jetzt über die (fast) mühelose gemeinsame Erstellung neuer Workflows und Geschäftsprozesse, die Überwachung von Teamaktivitäten und den Projektfortschritt in geteilten Räumen. Organisationsübergreifende Zusammenarbeit und Lernplattformen erreichen damit ein neues Niveau. Digitale Plattformen für die Zusammenarbeit – nicht bloss wie Zoom mit Videoanrufen – finden bereits statt. Sie werden die Zukunft der Arbeit sein und damit die Bedeutung und Relevanz von Geschäftsreisen verändern. Vertrauensbildung, Beziehungsaufbau, zufällige Entdeckungen und Bildung werden sowohl offline als auch online weiterhin relevant sein.

Die Frage ist nicht, ob Zoom eine Lösung bei Reisebeschränkungen ist (sei es im Zusammenhang mit dem Budget oder Pandemien). Die Frage ist, wie wir Führung, Zusammenarbeit und Lernen neu denken und neu gestalten können.
 

 


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